Ein literarisches Portrait Bernhard von Lepels?

Bernhard von Lepel ist für uns hauptsächlich interessant durch seine Freundschaft mit Theodor Fontane, und das meiste, das wir über ihn wissen, wissen wir durch Fontane. Fontane hat dem Freund ein langes Kapitel in seinen Jugenderinnerungen (Kapitel 8 von “Der Tunnel über der Spree” in “Von 20 bis 30”) gewidmet, und ihn auch sonst gelegentlich beschrieben — seltsamerweise zum Teil verfremdet (z.B. als der “Italienenthusiast” in der etwas mysteriösen Skizze “Cafés von heut und Konditoreien von ehmals” von 1886). Dennoch bleibt Lepel’s Persönlichkeit überraschend undeutlich.

Daher ist es interessant, dass Fontane möglicherweise in seinem literarischen Werk ein Abbild des Freundes gezeichnet hat. Fontane gab bekanntlich häufig seinen literarischen Figuren Züge von wirklichen Personen aus seinem Bekanntenkreis - warum nicht auch einmal die des Freundes?

Hier bietet sich, vielleicht etwas überraschend, die Figure des “Schach von Wuthenow” aus der gleichnamigen Erzählung an. In dem letzten, den Abschluss bildenden Kapitel schreibt Victoire von Schach, geborene Carayon, an ihre Freundin über die Persönlichkeit Schach’s: “Er war wie dazu bestimmt, der Halbgott eines prinzlichen Hofes zu sein”. Das ist eine gleichermassen bildhafte, aber auch ganz ungewöhnliche Charakterisierung.

Das scheint mir vor allem deswegen bemerkenswert, weil Fontane in dem Lepel-Kapitel seiner Jugenderinnerungen sich über Lepel verblüffend ähnlich äussert. Dort sagt er (über Lepel): “Er war der geborene Hofmarschall eines kleinen kunst- und wissenschaftbeflissenen Hofes und würde da viel Gutes gewirkt haben.” Die Ähnlichkeit dieser ganz ungewöhnlichen, unkonventionellen Beschreibungen sticht hervor.

Es gibt in dem Lepel-Kapitel seiner Jugenderinnerungen, und zwar gleich im ersten Satz, noch eine andere Paralelle zwischen Lepel und Schach. Fontane berichtet nämlich, dass der Tunnel-Kollege George Hesekiel über Lepel “oft” gesagt habe: “Lepel ist der reine Don Quixote”. Und die ganze Schach-Geschichte ist ja eine einzige Don-Quichotterie.

Schach als literarisches Portrait Bernhard von Lepels? Die Schach-Erzählung entstand 1878-1882, also kurz vor Lepel’s Tod (1885). Das spricht einigermassen gegen die hier vorgeschlagene Hypothese — Fontane war normalerweise diskret genug, sich über Lebende nur selten unschmeichelhaft zu äussern. Andererseits war die Freundschaft mit Lepel schon längere Zeit zuvor abgekühlt — in späteren Jahren hat sich Fontane zum Teil recht negativ über Lepel geäussert.

Und selbst wenn Schach ein Portrait Lepels darstellte: es trüge wenig zur Aufhellung von Lepel’s Persönlichkeit bei. Schach ist unter Fontane’s Roman-Figuren die mysteriöseste, deren Charakter, auch in der Erzählung selbst, immer wieder Thema des Gespräches und des Rätselratens ist — bis hin zu den zwei abschliessenden Kapiteln, mit ihren ganz gegensätzlichen Einschätzungen Schachs.

Aber vielleicht trifft gerade das ja den Kern, wenn wir bedenken wie nebelhaft Fontane’s direkte Beschreibungen Lepel’s sind (z.B. in “20 bis 30”). Ist es gerade das, dass Fontane aus Lepel nie recht schlau geworden ist? Und das ihn das, vielleicht gerade wegen Lepel’s relativer, und von Fontane klar erkannten, Beschränktheit, etwas irritiert hat?